Drogenfahnder

Drogenfahnder in Hannover

Entstanden im Winter 2010/2011

Drogenfahnder in Hannover"Kein Ermittlungsvorgang gleicht dem anderen Vom Eingang eines Hinweises auf einen Betäubungsmittelhändler, eine Marihuanaplantage oder auch einen Einfuhrschmuggels bis zur letztlich beweiskräftigen Festnahme der oder des Täters sind umfangreiche Ermittlungsmaßnahmen, welche sowohl vom Büro aus, als auch operativ durchgeführt werden, unerlässlich. Sind auch die zur Verfügung stehenden Mittel stets die selben, erfordert jeder neue Fall eine neue Taktik, neue Denkweisen sowie den ständigen Informationsaustausch innerhalb des Teams, als auch mit externen Einheiten, wie beispielsweise den mobilen Einsatzkommandos der PD Hannover. Schwierigen Umständen und Sofortlagen gilt es durch Improvisationsgeschick zu begegnen, sei es beispielsweise bei Festnahmen, Durchsuchungen oder Observationen. Gewährleistet wird dieses zum einen durch uneingeschränktes Teamwork als auch durch die Flexibilität des einzelnen Ermittlers und dessen Erfahrung."

So schildert Harald Aretz*, nach einem kurzen Statement gefragt, seine Tätigkeit. Er ist Beamter der Ermittlungseinheit Betäubungsmittel (EE BTM) der Polizeiinspektion Ost. Durch meine Reportage bekam ich einen direkten Einblick in den Alltag und die Arbeitsabläufe der Einheit. Peter Herpig erklärte mir die einzelnen Vorgehensweisen und Besonderheiten, die den Dienst der Beamten ausmachen. Herpig ist der Leiter der Ermittlungseinheit und der alte Hase des Teams.

Herpigs Truppe

Er war es damals, der mit der Gründung der Einheit betraut wurde und sie seitdem leitet. Doch mehr als das, er achtet auch darauf, dass seine Beamten keine Einzelkämpfer sind, sondern ein Team bilden. Jeder Beamte betreut zwar seine eigenen Fälle, geht es in die operative Phase, arbeiten alle gemeinsam. Ob Observation, Festnahme oder verdeckte Ermittlung, alle Team-Mitglieder müssen miteinander kombinierbar sein. Im Zweifelsfall müssen sie von Geschäftspartnern bis zum Liebespärchen alles mimen, was im jeweiligen Moment am unauffälligsten scheint. Auch um die oft langen Observationsschichten zu überstehen, müssen die Beamten zusammenpassen. Denn hierbei ist oft Sitzfleisch gefragt.

Während Verfolgungsfahrten, waghalsige Fluchten und actionreiche Festnahmen den Großteil der meisten Kriminalfilme ausmachen, sieht die Realität anders aus. Hier erfordert jeder Schritt große Vorbereitung. Dabei fängt alles mit einem Anfangsverdacht an. Beispielsweise durch einen Tipp aus der Bevölkerung, wird die Aufmerksamkeit der Ermittler auf eine bestimmte Person oder einen Ort gelenkt. Besteht hier Grund zur Annahme, dass illegale Geschäfte im Rahmen des Betäubungsmittelgesetzes getätigt werden, wird aus diesem Verdacht ein Verfahren. Eine Akte wird angelegt und die Örtlichkeiten in das wöchentliche Raster der zu observierenden Punkte eingeflochten. Dann geht es los mit echter Polizeiarbeit, fernab vom Fernseh-Klischee.

Observation

Verteilt auf mehrere Fahrzeuge sitzen die Ermittler und warten. Im grauen November-Hannover gibt es nicht viel, was das Auge ablenken könnte. Inmitten von Mietskasernen sitzen zwei Beamte in ihrem Fahrzeug und schlagen die Zeit tot. Regelmäßig überprüfen sie den Funkkontakt zu den weiteren Teams, die in der Umgebung Stellung bezogen haben. "Wer kann mich aufnehmen?" knarzt es immer wieder. Mit dieser Formel prüfen die Beamten, wie gut der Funkempfang bei den umliegenden Einheiten ist, meistens ist er - selbst bei direktem Sichtkontakt - miserabel. Ein ums andere mal greifen die Polizisten deshalb zum Handy, um dann aber doch nur zu erfahren "nix Neues." So vergeht Stunde um Stunde. Ein ruhiger Tag heute und so wird nach vier oder fünf Stunden die Observation abgebrochen. Wer oder was überwacht wurde, erschließt sich mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Tatsächlich verbringen die Beamten die meiste Zeit mit intensivem und konzentrierten Warten. Die Gespräche sind freundschaftlich. Oft verrät der Inhalt, dass aus den Polizisten im Laufe der gemeinsamen Dienstzeit schnell mehr als nur Kollegen geworden ist. "Sehen wir uns am Samstag in der Kneipe?" "Muss mal sehen, ob ich von meiner Frau frei bekomme." Zeit ist ein knappes Gut der Betäubungsmittelfahnder. Die Spontanität ihres polizeilichen Gegenübers erfordert auch von den Beamten ein hohes Maß an Flexibilität und so gibt es im Grunde keine festen Dienstzeiten bei der EE BTM. Zwar muss jeder seine Vorgänge bearbeiten, Büroschichten abarbeiten, doch wenn ein spontaner Einsatz ansteht, zahlt sich die Teamfähigkeit aus. "Jeder meiner Jungs und Mädels ist hochgradig motiviert. Das geht über das Maß eines normalen Polizeibeamten hinaus." Und damit meint er auch die Verfügbarkeit zu unangenehmen Zeiten, am Wochenende oder mitten in der Nacht. Dass er jederzeit mehr als genug Leute für einen ungeplanten Einsatz zusammen trommeln kann, zeichnet für Herpig seine Truppe aus. Die Mitglieder sehen die Bekämpfung von Drogenkriminalität als ihre Aufgabe an und ziehen ihre Genugtuung daraus, wenn sie beispielsweise einen Händler aus dem Verkehr ziehen können. Doch das erfordert meist wochen- oder monatelange Vorarbeit.

Kontrolle

Wenige Tage später heisst es wieder "aufsitzen." Die Zweierteams verteilen sich auf die zivilen Dienstwagen. Man bezieht Beobachtungsposten. Ein Beamter postiert sich dabei direkt vor einem Mehrfamilienhaus. Dass aus diesem Haus heraus Drogen verkauft werden, ist ein offenes Geheimnis. Für jeden Dealer, den die Ermittlungseinheit hinter Gitter bringt, zieht schon kurz später ein Neuer ein. Trotzdem müssen Beweise gesammelt werden. So vergeht Stunde um Stunde ohne Bewegung. Würden sie dauernd Kaffee trinken, erklären mir die Beamten, müssten sie auch dauernd eine Toilette aufsuchen. Die Tarnung wäre damit im Eimer. Also sitzt man weiter, wartet. Regen prasselt auf die Autoscheibe und macht das Beobachten in der Dunkelheit zusätzlich schwer. Im Winter beschlagen die Scheiben schnell. Im Sommer herrschen im Fahrzeuginneren oft unmenschliche Temperaturen. Heute kriecht durch die Bewegungslosigkeit langsam die Kälte in die Glieder. Dann geht es sehr schnell. Über Funk kommt die Beschreibung von zwei Verdächtigen. "Beide mittleres Alter. Jeans, schwarze Jacke, weisses Basecap, der Andere: Jeans, blaue Jacke, dunkle Haare. Kommen in eure Richtung." Die Beamten steigen aus und gehen den Verdächtigen entgegen, die dann auf offener Straße kontrolliert werden.

Einer der Beamten sammelt die Personalausweise ein und überprüft telefonisch die Daten der beiden Männer, während der andere sie im Auge behält. Sie sind bereits wegen Drogenbesitz aufgefallen. Wie so oft hat es die Polizei mit Altbekannten zu tun. Auch heute wieder hat einer der beiden Kokain bei sich. Er hat es vermutlich gerade erst gekauft und ist es jetzt schon wieder los. Nachdem die Daten notiert sind, werden die beiden wieder in die hereinbrechende Nacht entlassen. Die Beamten geben sich mit dieser Erkenntnis für diesen Tag zufrieden. Was dann folgt ist der ungeliebte "Papierkram."

Auch bei kleinen Mengen wird eine Anzeige geschrieben. In Transportkisten stapeln sich die einzelnen Vorgänge, an die kleinere Mengen von Betäubungsmitteln direkt angeheftet sind. Zusammen mit den größeren Mengen, warten sie in einem Sicherheitsschrank auf ihre Vernichtung und verbreiten einen eindeutigen Geruch innerhalb des Büros. Zu dessen Identifizierung braucht es keine Drogenfahnder-Ausbildung. Regelmäßig treffen sich die Ermittler um sich gegenseitig auf den neusten Stand zu bringen. Jeder berichtet über sein eigenes Verfahren und legt den aktuellen Stand offen. Die Aktionen für den nächsten Zeitraum werden geplant.

"Thermik"

Obwohl er schon die Tage bis zur Pensionierung zählen kann, ist Herpig immer noch aktiv an allen Aktionen beteiligt. Wie er selbst sagt, macht es ihm "draußen" einfach noch viel zu viel Spaß. Er könnte nie an seinem Schreibtisch sitzen und nur über Funk den Hergang der Ereignisse mit verfolgen. Im Einsatz merkt man dann direkt, was er damit meint. Wenn Hektik aufkommt, sich die Ereignisse überschlagen, im Funk nur Unverständliches zu hören ist und dann viel zu lange gar nichts mehr kommt, ist er in seinem Element. Es herrscht "Thermik" wie er sagt. Dann fährt er "unter Nutzung von Sonderrechten" während er gleichzeitig versucht Funkkontakt zu halten und die Zielperson nicht aus den Augen zu verlieren - schon bin ich mitten drin in einer Verfolgungsfahrt und plötzlich ist es doch wie im Kriminalfilm.

Aber eben doch nur auf den ersten Blick. Mit drei oder mehr Fahrzeugen versuchen die Beamten im dichten Stadtverkehr immer genau nah genug dran zu sein, aber auch nicht so dicht, dass der Verfolgte sich seiner Lage bewusst wird. Biegt das Zielfahrzeug unvermittelt ab, können die Beamten nicht einfach hinterher. "Viel zu auffällig." Dann muss der nächste übernehmen, während die nächste Wendemöglichkeit gesucht wird. Auch ohne Blaulicht dürfen die Polizisten dabei, was der gemeine Autofahrer nicht darf. &Uml;ber rote Ampeln fahren, oder die geltenden Geschwindigkeitsbegrenzungen deutlich überschreiten. Sämtliche Erkenntnisse werden schließlich am nächsten Tag wieder zusammen getragen, um am Ende endlich einen Durchsuchungs- und einen Haftbefehl zu haben.

Zugriff

Bei großen Einsätzen holen sich die Beamten der Ermittlungseinheit personelle Verstärkung bei der Verfügungseinheit der Polizeiinspektion. Oder sie arbeiten mit anderen Einheiten wie dem Mobilen Einsatzkommando (MEK) oder dem Spezialeinsatzkommando (SEK) zusammen. Am Abend wird ein Dealer so in Begleitung mehrerer seiner Freunde oder Geschäftspartner überwältigt. Die zivil gekleideten MEK-Beamten überrumpeln die Zielpersonen und legen ihnen Handschellen und Augenbinden an. Blitzschnell sind auch Herpigs Leute vor Ort und helfen bei der Überprüfung der Festgenommenen. Anschließend fahren sie sofort weiter zu mehreren Wohnungen im ganzen Stadtgebiet. Zur Durchsuchung führen die Polizisten auch immer eine "Ramme" mit sich. Wird die Wohnungstür nicht sofort geöffnet, müssen die Beamten schnell in die Wohnung, damit keine Zeit bleibt um Beweismittel verschwinden zu lassen.

Ist die Wohnung offen und sind etwaige Zielpersonen festgesetzt, geht es dann in aller Ruhe an die Durchsuchung. Mit großer Akribie wird hierbei jede Nische einer Wohnung untersucht. In der Küche wird jedes Gewürz genauestens untersucht, der Wirkungsmittelgehalt von Medikamenten geprüft. Selbst Kleidungsstücke werden einzeln untersucht um auszuschließen, dass kleine Mengen einzeln darin versteckt sind. Am Ende wird ein Protokoll angefertigt und aufgelistet, was die Beamten finden und mitnehmen konnten. In der Polizeiinspektion kommen alle Teams dann wieder zusammen. Der große Fund ist an diesem Abend ausgeblieben, für eine Verurteilung wird es zwar reichen, aber nicht für eine lange Haftstrafe, prognostizieren die Ermittler. Aus Erfahrung sagen sie, dass sie mit den Hauptpersonen dieses Abends noch öfter zu tun haben werden.

Oft entwickelt sich im Laufe der Zeit mit dem polizeilichen Gegenüber eine gewisse Beziehung, weil viele Dealer immer wieder kriminell werden. Schließlich sind sie auch selber oft suchtkrank und mit regulären Jobs ist eine Sucht kaum zu finanzieren. In manchen Fällen sind die Beamten sicher, dass die Haftstrafe das Leben zerstören und dem Verurteilten kaum eine Wahl lassen wird, als seine kriminelle Karriere fortzusetzen. Für Aussagewillige ist im Betäubungsmittelgesetz deswegen ein Passus vorgesehen, der es ermöglicht, die Strafe bei Kooperation zu reduzieren. Schließlich ist für Herpig ein Abhängiger, der auf seine Vermittlung hin eine Therapie erfolgreich abgeschlossen hat und wieder ins Leben zurück findet ebenso ein Erfolg, wie die Verurteilung eines Dealers.

*Name vom Autor geändert.